„Startups müssen zehnmal bessere Lösungen liefern“

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„Startups können der Industrie den Spiegel vorhalten“

Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) hat die deutsche Startup-Szene im vergangen Jahr ein Rekordjahr hingelegt. Und das nächste soll gleich folgen. „Die Tech Startup-Szene in Deutschland hat sich etabliert. Sie ist zu einer eigenen Industrie geworden“, meint Dr. Thomas Prüver, Partner in der Transaktionsberatung von EY sowie zuständig für Venture Capital und Technologietransaktionen. Was macht die Unternehmensgründer so erfolgreich und welche Rolle spielen sie in der deutschen Industrie? Fragt man den niederländischen Startup-Investor und -Coach Willem Bulthuis können etablierte Unternehmen einiges von der Arbeitsweise der Startups lernen und von ihren Lösungsansätzen profitieren. Das gilt sowohl für große wie auch für kleine und mittelständische Unternehmen. Im Folgenden zwei Beispiele.

Dr. Thomas Prüver, Partner in der Transaktionsberatung von EY

Flexibilität, Schnelligkeit und Risikobereitschaft

Laurens Schröder

Flexibilität, Schnelligkeit und Mut zum Risiko – „sie können es sich leisten, haben (noch) nichts zu verlieren“ – sind Eigenschaften, die junge Unternehmen auszeichnen. Es sind zugleich die Eigenschaften, die sie von gestandenen Unternehmen unterscheiden. „Aus dieser Position heraus können sie der Industrie den Spiegel vorhalten“, sagt Willem Bulthuis.

Einen weiteren Vorteil sieht Gründer Laurens Schröder in der direkten Ansprache, die Unternehmen im Rahmen der Zusammenarbeit mit Startups erfahren: „Sie landen mit ihren Anliegen und Problemen nicht bei einem Vertriebler innerhalb einer großen Struktur. Die Startup-Kultur zeichnet sich nämlich auch durch flache Strukturen und kleine Teams aus. Deshalb ist der direkte Ansprechpartner eben oft der Geschäftsführer.“

 Finanzieller Mehrwert

Eric Adolphs, connectavo GmbH

Vor rund zwei Jahren hat er mit seinem Mitgründer Eric Adolphs die connectavo GmbH ins Leben gerufen. Hier dreht sich alles um die intelligente Wartung und Instandhaltung von Maschinen. Die Kundschaft besteht hauptsächlich aus kleinen und mittelständischen Unternehmen. „Es gab auch das ein oder andere Leuchtturmprojekt mit großen Unternehmen. Sie haben die finanziellen Mittel, um neue Ansätze und Technologien auszuprobieren. Industrie 4.0, Smart Industry, Predictive Maintenance – all diese Begriffe spielen für den Großteil unserer Kunden jedoch keine Rolle. Sie denken in Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen. Der Einsatz einer neuen Technologie muss einen finanziell messbaren Mehrwert schaffen.“

Laut Schröder gibt es in Deutschlands Industrieunternehmen aktuell ein hohes Effizienzpotenzial: „Investitionen gehen in der Regel in Erweiterungen des Maschinenparks oder neue Anlagen. Das Wartungsmanagement wird daneben eher stiefmütterlich behandelt – Excel-Tabellen sind an der Tagesordnung – und ausgeführte Wartungsarbeiten werden rudimentär bis gar nicht, geschweige denn einheitlich dokumentiert.“ 

Die connectavo-Gründer Eric Adolphs (links) und Laurens Schröder: „Das Wartungsmanagement wird eher stiefmütterlich behandelt.“ Foto: connectavo

Sinnvoll digitalisieren

Schröder und Adolphs arbeiteten im Rahmen ihrer Tätigkeit bei einem Softwarehaus, das sie maßgeblich mit aufgebaut hatten, an einem Projekt für Automatisierungstechnikhersteller Pepperl+Fuchs. Dieses entpuppte sich schließlich als Grundstein für die Ausgründung connectavo. Beim Projekt ging es um die Frage, wie man die Überwachung von Verbrauchsmaterialien im bestehenden Produktionsprozess sinnvoll digitalisieren und in den Instandhaltungsprozess integrieren kann. Die Ausgangslage: eine manuelle Überwachung der Verbrauchsmaterialien, Prozesse, bei denen Überwachung und Nachfüllprozess ausschlaggebend für die Verfügbarkeit sind, ein primär aus Sondermaschinen bestehender Maschinenpark und eine hauptsächlich ad-hoc erfolgende Kommunikation in der Produktionsumgebung.

Die Lösung bestand in diesem Fall aus einer Hardware-Komponente, die den Füllstand des Verbrauchsmaterials kontinuierlich misst und einer Software-Komponente, die den Prozess digital abbildet und durch intelligente Analyse optimiert. Letztere – das connectavo Instandhaltungsportal – ist das Produkt des noch jungen Unternehmens: „Dieser Startschuss hat uns eindeutig gezeigt, wie groß der Bedarf an solchen Tools ist und welche gewinnbringenden Vorteile die Implementierung für mittelständische Unternehmen haben kann.“

Daten in Echtzeit

In diesem speziellen Fall sammelt und empfängt das Portal die Daten des Sensors in Echtzeit. Die Mitarbeiter haben zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, die tatsächlichen Füllstände der Maschinen zu überprüfen, oder über das Portal Grenzwerte festzulegen, bei deren Über- oder Unterschreiten automatisierte Arbeitsaufträge zum Nachfüllen angelegt werden. Die verantwortlichen Mitarbeiter werden dann beispielsweise per SMS über Arbeitsaufträge benachrichtigt, sodass sie vorausschauend das Auffüllen planen können. Darüber hinaus können auch andere Instandhaltungsarbeiten an den Maschinen und Anlagen verwaltet werden. Hier ist es hilfreich, dass das System Informationen über die Durchführung von Wartungen sammelt und katalogisiert.

Dank des Lösungsansatzes ließen sich eine Reihe von Vorteilen realisieren. Das Risiko von Stillstandzeiten konnte verringert und das Zwischenlager aufgelöst werden. Die digitale Transparenz im Hinblick auf Planung und Durchführung sowie Dokumentation von Wartungsarbeiten erleichtert den Arbeitsalltag. Außerdem kann die Hardwarelösung unabhängig von den bestehenden Maschinen eingesetzt werden, sodass das System schnell und günstig installiert werden konnte. „Dank der schnellen Installation des Nachrüstkits konnte die Sensorik perfekt in das Internet der Dinge integriert werden. Durch das connectavo Portal konnte schnell ein praktischer Nutzen daraus gezogen werden“, so das Fazit von Benedikt Rauscher, Leiter Globale IoT / I4.0 Projekte bei Pepperl+Fuchs.

Stichwort Optimierung

Die Prozesse wurden in diesem Beispiel also digitalisiert und optimiert. Optimierung ist jedoch generell ein gutes Stichwort, wenn es um Startups geht. So auch im Hinblick auf neue Technologien. Dass das Management und die erfolgreiche Implementierung von Innovationen in weniger eingefahrenen Strukturen einfacher ist, hat auch Peter Kurstjens festgestellt. Er hat sich schon vorher in Führungspositionen bei Philips und Wacom mit neuen Technologien beschäftigt und bewusst mit dem Einstieg ins Startup Aito einen neuen Weg eingeschlagen. Das Unternehmen hat eine Technologie zur Verbesserung der Bedienfreundlichkeit von Touch-Systemen entwickelt.

Touchscreens und Touchbuttons prägen unseren Alltag. Auch in Autos werden immer mehr (bewegungsempfindliche) große Bildschirme verbaut. Was oft fehlt, ist eine Bestätigung dafür, dass das Bedienfeld tatsächlich aktiviert wurde. „Die von Aito entwickelte Technologie erzeugt bei der Einbindung in solche Oberflächen ein haptisches Feedback. Der Nutzer erhält eine Bestätigung dafür, dass ein Bedienfeld angesteuert wurde“, erklärt Kurstjens die Besonderheit des Systems. Dies ermögliche nicht nur eine benutzerfreundliche Bedienung, sondern erhöhe auch die Sicherheit. Weiter erklärt der CEO, dass gerade die Autoindustrie hierfür ein relevanter Markt ist: „Es gibt immer mehr Funktionen, denen ein Platz eingeräumt werden muss. Außerdem ist die Technik sehr platzsparend, kann beispielsweise auch vor Airbag-Flächen installiert werden und ermöglicht so neue Designs.“

Startups sind Vorreiter

Einen großen Kundenkreis bilden darum Automobilzulieferer für Bedienelemente. Dennoch ist das Unternehmen zunächst auf die Automobilhersteller selbst zugegangen – mit Erfolg. „Das war sogar relativ leicht. Wir haben ihnen gezeigt, was wir zu bieten haben und sind auf großes Interesse gestoßen“, sagt Kurstjens. Startups passen eben auch zu großen Unternehmen wie BMW. Der Automobilhersteller hat erkannt, dass Startups im Bereich softwarebasierter Technologien Vorreiter sind. Eine Konsequenz dieser Erkenntnis ist das Projekt „Startup Garage“. Hiermit wolle man laut Unternehmensangaben die Hemmschwelle, an einen großen Konzern heranzutreten, verringern.

Aito gehörte zu den ersten Startups, die am BMW-Projekt teilgenommen haben: „Unsere Technologie wurde in ein Konzept-Interieur eingebaut, um es in einer authentischen Umgebung zu erproben. Das war eine gute Gelegenheit, einem potenziellen Endkunden unsere Technologie zu demonstrieren. Zumal es auch eine Demonstration für das Managementteam des Konzerns gab und diese Erfahrung in den Entscheidungsprozess rund um die Implementierung neuer Technologie miteingeflossen ist.“ Sicherlich eine gute Basis für Gespräche mit tatsächlichen Kunden – den Zulieferern. Hier kommt dem 2012 gegründeten Unternehmen zu Gute, dass sich das Management auch viele Gedanken um Kunden gemacht hat. Nicht nur, dass das System leicht zu verbauen ist. Es wurden auch Prozesse entwickelt, beispielsweise Trainings, mit deren Hilfe das Aito-Wissen auf die Zulieferer übertragen wird. Diese experimentieren aktuell mit der Technologie. „Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2020 die ersten Autos mit unserer Entwicklung auf dem Markt sein werden“, stellt Kurstjens in Aussicht.

Piezotechnik im Einsatz

Natürlich beschäftigen sich auch andere Hersteller mit der Entwicklung ähnlicher Systeme, aber das Startup ist von der Einzigartigkeit seiner Lösung überzeugt. Das Besondere daran ist der Einsatz von Piezotechnik. „Die Technik dürfte fast jeder aus Geburtstagskarten kennen – beim Aufklappen der Karte ertönt Musik. Bei uns erzeugt das Berühren der Bedienfläche ein haptisches Feedback“, erklärt Kurstjens. Eben eine einfach zu verbauende Technik, mit deren Hilfe vorhandene Systeme – wie Touchscreens – maßgeblich verbessert werden können.

Auch dieses Ergebnis ist laut Business Angel Bulthuis auf eine typische Eigenschaft von Startup-Unternehmen zurückzuführen: „Ihnen geht es darum, für ein Problem eine disruptive Lösung zu liefern, die zehnmal so gut ist, wie der Standard. Nur so können sie mit etablierten, viel größeren Unternehmen konkurrieren.“ Diese Einschätzung kann Aito-CEO Peter Kurstjens bestätigen: „Startup-Unternehmen müssen herausragende Produkte und Dienstleistungen erbringen, wenn sie von der Industrie ernstgenommen werden möchten. Projekte wie die BMW Startup Garage sind starke Partner, aber sie entscheiden sich nur für die besten Bewerber.“

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